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Thema des Monats

Thema des Monats im Oktober / November / Dezember:

Entspannungsreaktion bei der Klangmassage:
Ein psychophysiologischer Forschungsansatz

Autoren: Christina Imbery, Julia Habicht, Johanna Stever, Britta Jensen & Reinhard Weber

Zusammenfassung

Die Entspannungsreaktion durch die Klänge und Vibrationen einer auf den Körper aufgelegten Klang­schale ist eine sehr wichtige, gewünschte Wirkung. Wie lässt sich objektiv feststellen, ob eine Ent­spannung eingetreten ist? In der Regel ist man auf die Äußerungen derjenigen, der die Klangmassage bekommt und auf die eigenen Eindrücke desjenigen, der die Klangschalen anschlägt, angewiesen. Gibt es darüber hinaus Anzeichen für eine körperliche Entspannungsreaktion? Wir untersuchen in Studien in wieweit physiologische Größen wie Hautleitwert, Herzfrequenz, Herzratenvariabilität, Hauttemperatur und Atmung mit geschilderten Entspannungs­empfindungen übereinstimmen. Dieser Artikel stellt grundlegende Zusammenhänge und die wesentlichen Gesichtspunkte des Forschungsansatzes dar.

Die Gegenspieler des vegetativen Nervensystems - Sympathikus und Parasympathikus

Das vegetative Nervensystem steuert mit dem sympa­thischen und parasympathischen System die meisten Körperfunktionen des menschlichen Organismus. BeideSysteme arbeiten als Gegenspieler und wirken auf dieAktivitäten verschiedener Organe verstärkend oderabschwächend. Der Sympathikus sendet leistungs­fördernde und der Parasympathikus erholungsfördernde Impulse an den Körper. Nach einer intellektuellen oder körperlichen Herausforderung, in der das sympathische System dominiert, überwiegt das parasympathische System mit Erholung und Regeneration. Typische Organ­reaktionen durch das vegetative Nervensystem sind in Tabelle 1 getrennt für Aktivierung (­Sympathikus) und Entspannung (Parasympathikus) beispielhaft dargestellt, vgl. (Schandry, 1998) und (Schmidt, et al., 2005).

Vorstudie zur Messung der Entspannungs­wirkung von Klangschalen durch Erfassung der physiologischen Messgrößen und der persönlichen Empfindungen

Um die Entspannungswirkung von Klangschalen zu messen, werden bei acht Probanden Situationen mit und ohne Klangschalenanwendungen verglichen. Wäh­rend beider Experimentarten werden physiologische Messgrößen registriert und nach den Experimenten die persönlichen Empfindungen der Probanden erfragt.

Erfassung der physiologischen Messgrößen während eines Experimentes

Während der Experimente werden der Hautleitwert, die Herzfrequenz, die Hauttemperatur, die Atem­frequenz, sowie die Atemtiefe registriert, vgl. Abbildung 2. Die Sensoren zur Erfassung der physiologischen Mess­größen werden zum größten Teil an den Händen und am Unterarm positioniert. Ein Gurt um den Bauch zeichnet die Veränderung des Bauchumfanges während der Atmung auf, vgl. Abbildung 1.

Erfassung der persönlichen Empfindungen nach einem Experiment

Für die Erfassung der subjektiven Eindrücke und Emp­­findungen während beider Experimente wurde im Vorfeld ein Fragenkatalog entworfen. Anhand der ersten Frage können die Versuchsteilnehmer ihre Empfindungen zum Experiment frei äußern. Die Abfolge der weiteren Fragen werden dem Gesprächsverlauf angepasst.

Fragen zur Erfassung der persönlichen Empfindungen:

  • Wie sind deine ersten Eindrücke?
  • Wie hast du dich vor dem Experiment gefühlt?
  • Wie fühlst du dich jetzt? Fühlst du dich jetzt anders als vor dem Experiment?
  • Gab es Momente, in denen du gemerkt hast, dass du weggedöst bist?
  • Bist du eingeschlafen?
  • Kannst du die Liegezeit in Abschnitte einteilen und beschreiben welche Gedanken du hattest?
  • Kannst du deine Gedanken bestimmten Situationen zuordnen?
  • Hast du das Nachdenken als positiv, negativ oder neutral empfunden?

Wesentliche Ergebnisse der Vorstudie

Mit diesem Forschungsansatz konnte gezeigt werden, dass sich Entspannungsreaktionen bei Klangschalen­anregungen in einer kontrollierten Versuchsumgebung sowohl in subjektiven Empfindungen als auch in physiologischen Parametern erfassen lassen.

In der Vorstudie mit acht Probanden zeigen die per­sönlichen Empfindungen, dass

  • die Hälfte der Probanden sich nach einer Klangschalen­behandlung besser fühlen als vor der Behandlung. Die andere Hälfte spürte keinen Effekt.
  • mehr als 75 % der Probanden den gesamten Ver­lauf mit überwiegend positiven Empfindungen beschreiben.
Bei den physiologischen Parametern stellt sich heraus, dass
  • der Hautleitwert das emotionale Empfinden der Probanden am deutlichsten widerspiegelt. Bei ange­nehm und entspannend beschriebenen Situationen,sinkt der Hautleitwert in den meisten Fällen undzeigt so eine Entspannungsreaktion. Im Gegenzugsteigt der Hautleitwert bei besonders unange­nehm empfundenen Situationen im Sinne einer Aktivierungs­reaktion.
  • die Herzfrequenz und die Herzratenvariabilität in Hinblick auf eine Entspannungsreaktion nicht immer an das emotionale Empfinden gekoppelt sind.
  • die Ergebnisse der Kenngrößen für die Atmung nicht eindeutig interpretierbar sind. Durch die Positio­nie­rung der Klangschale auf dem Oberbauch, in unmittelbarer Nähe des Atemzentrums, könnte es zu einer Beeinflussung der Atmung gekommen sein.
  • entgegen der persönlichen Äußerungen die Haut­temperatur meistens nicht mit einer Entspannungs­reaktion übereinstimmt. Ein Grund für diese Re­aktion könnte die Sensorposition sein, indem die Bewegungs­freiheit der Finger eingeschränkt wurde und es dadurch zu einer verminderten Fingerdurch­blutung gekommen ist.

Aktivierung durch den Sympathikus:

Wird in einer Gefahrensituation das sympathische System aktiviert, kommt es zu einer Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Der Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt und bereitet sich evolutions­bedingt auf eine „Kampf- oder Fluchtsituation“ vor. Es kommt zu einer Zunahme der Atemfrequenz und der Muskeldurchblutung. Das Herz schlägt schneller und gleichmäßiger die Variabilität zwischen zwei Herzschlägen (Herzratenvariabilität) verringert sich. Die Stoffwechsel- und Verdauungsprozesse werden gehemmt.

Entspannung durch den Parasympathikus:

Besteht keine Gefahr für den Menschen, dominiert der Parasympathikus. Die Körperfunktionen erholen sich und der Körper entspannt. Dieser Zustand dient Stoffwechselprozessen und der Regeneration von körpereigenen Reserven. Es werden Funktionen ange­regt, die der Erholung dienen, wie beispielsweise die Darmtätigkeit. Blutgefäße erweitern sich, wodurch es zu einer Erhöhung der Hauttemperatur kommt. Die Leitfähigkeit der Haut nimmt ab, der Atem wird ruhiger und das Herz schlägt langsamer und unregelmäßiger – die Zeitintervalle zwischen zwei Herzschlägen vari­ieren stärker. Nicht der Erholung dienende Funktionen werden gehemmt.

Hautleitwert:

Der Hautleitwert misst die elektrische Leitfähigkeit der Haut. Physiologisch ist dieses Phänomen hauptsächlich von der Aktivität der Schweißdrüsen abhängig, welches durch das vegetative Nervensystem sympathisch ge­steuert wird. Eine Erhöhung der Schweißproduktion, z.B. bei Stress, bewirkt eine Erhöhung der Leitfähigkeit. Während der Entspannung nimmt der Hautleitwert ab, bei positiver oder negativer emotionaler Erregung zu. Der Hautleitwert wird an den Händen durch Anlegen einer geringen elektrischen Spannung gemessen. Je nachdem, wie stark die Schweißdrüsenproduktion ausgeprägt ist, kann der gemessene Wert entsprechend hoch oder niedrig sein. Um dennoch Messwerte von mehreren Personen miteinander zu vergleichen, ist eine sogenannte Bereichskorrektur erforderlich.

Herzfrequenz und Herzratenvariabilität:

Die Herzfrequenz wird aus dem zeitlichen Abstandzwischen zwei aufeinander folgenden Herzschlägen berechnet und üblicherweise in Schlägen pro Minute angegeben. Für eine Angabe der Variabilität zwischen aufeinander folgenden Herzschlägen wird die Herz­ratenvariabilität berechnet. Die Herzratenvariabilität kennzeichnet die Anpassungsreaktion des Herzens. Je flexibler das Herz auf Eindrücke reagiert und je unregelmäßiger es demzufolge schlägt, umso höher ist die Variabilität der Zeitintervalle zwischen zwei Herzschlägen. Berechnet wird die Herzfrequenz bzw. die Herzratenvariabilität aus dem Elektrokardiogramm (EKG). Das EKG zeichnet die Herzmuskelaktivität für einen Herzzyklus auf und kann bestimmten Prozessen im Herzmuskel zugeordnet werden.

Atemfrequenz und Atemtiefe

Die Atemfrequenz wird aus dem zeitlichen Abstand zwischen zwei Atemzügen berechnet und in Zügen pro Minute angegeben. Für eine Abschätzung der Atemtiefe wird der Abstand zwischen dem Ein- und Ausatmen bestimmt. Gesteuert wird die Atmung durch das Atemzentrum im unteren Bereich des Hirnstamms. Das Atemzentrum besteht aus zwei Bereichen, die komplex miteinander verschaltet sind. Je nachdem welcher Bereich gereizt wird, kommt es zum Ein- bzw. Ausatmen, vgl. (Schandry, 1998). Jedoch kann, im Gegensatz zu anderen physiologischen Messgrößen, wie beispielsweise der Herzfrequenz, die Atmung auch willentlich beeinflusst und kontrolliert werden. Die Erfassung der Atmung erfolgt in den meisten Fällen durch einen Gurt, der die Veränderung des Bauch­umfangs aufnimmt.

Hauttemperatur

Die Hauttemperatur gibt die Oberflächentemperatur der Haut an und ist nicht zu verwechseln mit der Körper­innentemperatur. Die Körperinnentemperatur hat je nach Körperregion eine Temperaturdifferenz von ca. 1°C. Die Oberflächentemperatur der Körperschale ist wechselwarm und auch von der Umgebungstemperatur beeinflussbar. Die Körperinnentemperatur wird über Prozesse gesteuert, wodurch der Wärmetransport über das Herz-Kreislauf-System stattfindet. Die Erzeugung von Wärme spielt sich in der Skelettmuskulatur und den inneren Organen ab. Durch Schweißbildung und eine gesteigerte Blutzufuhr an den Gefäßen der Haut wird Wärme wieder abgegeben, vgl. (Schmidt, et al., 2005). Eine Erhöhung der Körperinnen­temperatur, ausgelöst durch beispielsweise Stress, bewirkt einen erhöhten Stoffwechselprozess. Als Folge der Blut­umverteilung kommt es zu einer Verminderung der Hauttemperatur indem sich Blutgefäße der Haut zusammenziehen. Umgekehrt verursacht Entspannung eine Re­duzierung der Stoffwechselprozesse mit ­einer Reduzierung der Körperinnentemperatur und eine Erhöhung der Hauttemperatur. Die Senkung der Körperinnentemperatur geschieht größtenteils durch Erweiterung der Blutgefäße. Die Erfassung der Hauttemperatur erfolgt an den Fingern mittels eines temperaturempfindlichen Sensors.

AG-Akustik der Universität Oldenburg
Die Arbeitsgruppe Akustik untersucht sowohl die Erzeugung als auch die Wahr­nehmung von Schall und Vibrationen. Es geht dabei darum, das ­Verständnis der auditorischen Wahrnehmung des Menschen zu vertiefen und dieses Wissen unter anderem auf Schallwiedergabesysteme, Fahrzeuggeräusche und Signalverarbeitungsalgorithmen anzuwenden. Einige Beispiele aktueller Forschungsthemen sind rechnerbasierte auditorische Szenenanalysen, Wahrnehmung von Multiton-Komplexen, Vibrationswahrneh­mung, akustische Isolation von Verbundstoffen und räumliche Wahrnehmung von Geräuschen. Die Untersuchung von Vibrationen und Klängen der Klangschalen sind deshalb besonders interessant, weil sie im Unterschied zu vielen technisch erzeugten Klängen, Geräuschen und Vibrationen nicht störend und lästig sind sondern, im Gegenteil, entspannend wirken.

Quelle: © (Hrsg.) Europäischer Fachverband Klang-Massage-Therapie e.V.

Bild: Anwendung einer Peter Hess-Klangschale © Foto: Archiv Peter Hess Institut

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