Klanggenuss Gümmer

Thema des Monats

Thema des Monats im Juli / August:

Der Klang des Lebens

HEILSAME SCHWINGUNGEN In ihrer Heimat sind sie gleichermaßen Kochgeschirr und Werkzeug der Schamanen. Bei uns schwören immer mehr auf die Klangschalen-Therapie

Autor: Martin Braun. martin.braun@guter-rat.de

Kardiologen haben einen unübersehbaren Hang zu Hightech. Das Herzinstitut von Kardiologe Dr. Jens Gramann und Kollegen in Berlin-Steglitz macht da keine Ausnahme: CT, MRT, nicht invasive dreidimensionale Darstellung der Herzkranzgefäße ... Und doch tickt Gramann etwas anders als seine Kollegen. Der 58-Jährige mit den grauen Haaren sieht so gar nicht nach Esoterik aus, aber er bevorzugt den ganzheitlichen Blick und – noch ungewöhnlicher – bei ihm gehören seit ein paar Jahren Klangschalen zur Praxisausstattung. Dass das wirkt, hat er nicht an der Universität gelernt, sondern bei seiner Frau.

»Meine Frau hatte mir eine CD mit Klangschalen-Sound geschenkt, damit ich entspanne«, erinnert sich Gramann amüsiert. Die Wirkung war phänomenal. Gramann hat daraufhin mit seiner Mitarbeiterin und jetzigen Klangschalentherapeutin Sabine Zarate Cisneros die Klangtherapie als zusätzlichen Baustein zur Stressbewältigung im Praxisprogramm etabliert. »Dass tatsächlich eine entspannende Wirkung eintritt, zeigen objektive klinische Paramater wie die Herzratenvariabilität«, sagt Therapeutin Zarate. Zur Erklärung: Die Herzfrequenz ändert sich normalerweise ständig, schon beim Ein- und Ausatmen. Entspannen, Runterfahren ist bei Herz-Kreislauf- und Bluthochdruckpatienten ein zentrales Thema. Ließe sich das ohne oder mit weniger Medikamenten erreichen, wäre das ein großartiger Erfolg.

STUDIE Gramann will die Leistungen der modernen Kardiologie gewiss nicht kleinreden (»Wir können ja sogar neue Herzklappen von der Leiste aus einsetzen«), dennoch wurmt ihn die einseitige Ausrichtung des Medizinbetriebs auf Reparaturmaßnahmen. »Wir kümmern uns viel zu wenig um Risikofaktoren, um Prävention.« Und Gramann hat den Weg des Umdenkens beschritten.

Er ist sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. In einer Pilotstudie mit elf Bluthochdruck-Patienten hat er die Wirkung von einmal wöchentlich stattfindenden Klangschalenmassagen mit der von Progessiver Muskelentspannung verglichen. Letztere ist als anerkannte Methode zur Stressreduktion ein von den Krankenkassen bezuschusstes Präventionsangebot. Die Veröffentlichung der Studie steht zwar noch aus, Gramann lässt aber schon durchblicken, dass Klangschalen-Sitzungen ähnliches, möglicherweise sogar noch mehr leisten als Progressive Muskelentspannung.

ENTSPANNEN Überlingen am Bodensee. In die Fastenklinik Buchinger-Wilhelmi kommen nicht nur Übergewichtige, sondern auch Menschen, die erschöpft sind. Klangschalenmassagen stehen hoch im Kurs. Klangtherapeut Thomas Lutz weiß warum: »Gerade die Überdreht-Erschöpften, die körperlich kaputt sind, bei denen der Geist aber nicht zur Ruhe kommt, machen die Erfahrung, dass sie unter dem Klang loslassen können.« Bei den Begriffen kann man durcheinander kommen. Ist es nun Massage oder Therapie? Im Prinzip ist es das gleiche, es ist eine Frage der Sprachregelung. Nur Ausübende eines Heilberufs, die Klangmassagen anbieten, dürfen Worte wie »Therapie« und »Therapeut« verwenden. Ansonsten spricht man von Massagen. Viele der Klangpraktiker hierzulande sind, nebenbei bemerkt, vom Peter-Hess-Institut ausgebildet. Peter Hess ist der Mann, der die Klänge, und die Schalen aus dem Himalaya zu uns gebracht und das System der Klangmassagen entwickelt hat.

KLänge senken Blutdruck

Bei Ganzkörperbehandlungen werden Becken-, Herz-, Gelenkschale usw. nacheinander auf den Körper platziert. Dann werden sie angeschlagen, das Metall beginnt zu schwingen. Von manchen wird das als unangenehm intensiv empfunden, Schmerzpatienten zum Beispiel. »Da stellen wir die Schalen dann dicht neben den Körper«, so Lutz.

Was die Klangschale wirklich »macht«, darüber gibt es verschiedene Vorstellungen. Harmonisieren, energetischer Ausgleich, Entspannen sind Wörter, die gerne benutzt werden. Therapeut Lutz erklärt seinen Klienten die entspannende Wirkung so: »Die Klangmassage ist für das linke, analytische Hirn langweilig. Kein Beat, kein Rhythmus, den es analysieren könnte. Darum schaltet es irgendwann ab, überlässt dem rechten, dem Kreativhirn das Feld. Elektrisch gesehen kommt das Hirn in den Alphazustand, was dem Zustand kurz vorm Einschlafen entspricht.«

Rosemarie Bleil, Klangpädagogin aus Obing, zitiert ein anderes Bild: »Als würden Sie einen Stein in den Weiher werfen.« Die Vibrationen breiten sich im Körper aus, erreichen alle Zellen, regen deren Erneuerung an, verbessern die Sauerstoffversorgung, mobilisieren die Selbstheilungskräfte. Das klingt zugegebenermaßen etwas blumig. Aber Bleil weiß, wovon sie spricht.

Seit vielen Jahren nutzt sie Klangschalen in der Alten- und Demenzpflege. »Sie glauben nicht, wie das alle Beteiligten entspannt hat«, sagt Bleil, das Personal inbegriffen. »Die waren weniger krank, und die Bewohner brauchten weniger Psychopharmaka.« Es ist aber nicht nur Entspannung. »Man weiß von Studien mit meditierenden Mönchen, dass sich im Zustand tiefer Entspannung stressanfällige Hirnstrukturen in einem gewissen Maße regenerieren«.

Die Klangschalen haben aber noch eine wunderbare Eigenschaft: Sie können die Reise ins Vergessen für kurze Zeit unterbrechen. »Ich habe erlebt, dass Demenzkranke, die völlig teilnahmslos dasaßen, vom Klang wieder lebendig wurden.« Klangtherapeuten sind überzeugt davon, dass hier nicht nur Erinnerungen aufklingen, so wie bei Liedern aus der Kindheit. Die obertonreichen Klänge wecken, so die These, Erinnerungen an eine Zeit größter Geborgenheit, die noch weiter zurückliegt: die Zeit vor unserer Geburt.

Das erste, was das menschliche Ohr um den vierten Lebensmonat herum hört, sind der Herzschlag der Mutter und ihr Blutrauschen. »Das könnte ein Schlüssel sein, warum Klangschalen so ein starkes Gefühl von Geborgenheit erzeugen.«

KOMMUNIKATION Gabriele Träxler aus Graz bestätigt, dass Klangschalen Menschen erreichen, zu denen auf anderen Kanälen keine Verbindung mehr besteht. Sie besucht Wachkoma-Patienten mit ihren Klangschalen. Diese erscheinen unerreichbar wie unter einer Taucherglocke. Träxler: »Das stimmt so nicht. Manche haben einen Blinzel- oder Fingercode und können mitteilen, ob ihnen der Klang behagt. Und die Monitore zeigen, wie ein Mensch entspannt: wenn der Atem langsamer wird, der Puls ruhiger.« Und sie kann es sehen: die Mimik entspannt, die Lippen werden weich, mitunter dösen die Patienten ein, oder ein Blick, der eigentlich durch alles hindurchgeht, macht sich für einen kurzen Moment an der Schale fest.

in der moderne gefragt

Angstlösend, beruhigend, entspannend, das ist die Seele der Klangschalenmassage. Die Märkisch-Oderland-Klinik Strausberg bewirbt Klagschalen-Therapie sogar auf ihrer Website und zielt auf die »modernen« Kranken mit Burnout, Depression und natürlich auch ganz allgemein Schwerkranken. Farah Thanner: »Viele Patienten berichten, wenn sie aus dem Klangfluss auftauchen, endlich einmal losgelassen zu haben.«

RHEUMA Während Gramann Klangschalen im Grunde wiederentdeckt hat – die erste Begegnung war in den 70ern auf seinem Nepaltreck, sind sie für den Cuxhavener Rheumatologen Dr. Matthias Braun völliges Neuland. Seine Frau, eine Klangschalentherapeutin, hat den eingeschworenen Schulmediziner überreden müssen, Klangschalenmassagen auszuprobieren. Geworden ist daraus eine Studie mit 100 Teilnehmern, die Braun überzeugt hat. Über Details kann er noch nicht reden, die Studie ist bisher unveröffentlicht, entlocken lässt er sich aber, dass »die Fibromyalgiepatienten, die Klangmassagen erhielten, in puncto Schmerzreduktion, Einschlafen und der erlernten Fähigkeit zu Entspannen, klar besser abschnitten« Was – zumindest in der Theorie, nicht überrascht. Schmerzwahrnehmung ist stark durch psychische Aspekte wie Anspannung und Angst beeinflusst.

Klang-Pause für Kinder

Kinder scheinen in besonderer Weise empfänglich für den Klang der Schalen. Die von den Professoren Hella und Luis Erler zuerst in Regensburger Montessori-Einrichtungen erprobte »Klang-Pause« hat es bis in die Landeshauptstadt München geschafft. Im Kern geht es darum, gegen die Flut aus Lärm und Stress eine Insel der Achtsamkeit, Ruhe, des Sichnach-innen-Wendens zu schaffen. Eine 4-wöchige Beobachtungszeit in Münchener Kindergärten und Schulhorten ergab, dass mit diesen mehrminütigen Klang-Pausen Aggressionen abnehmen, die Kinder sozialer, konzentrierter, mehr im Einklang mit sich und der Welt sind.

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